Es war einmal eine alte Frau, die lebte ganz allein in einem Häuschen auf einem Hügel.
Sie hatte keine eigenen Kinder. Niemand kam sie je besuchen, und so kümmerte sich die Frau um ihren Garten mit den schönen Blumen. Schließlich konnte auch der Garten der alten Frau nicht mehr verhindern, dass sie sich einsam fühlte.
Eines Tages, als die alte Frau gerade ihre leuchtend roten Rosen goss, kam eine Hexe den Hügel hinauf zum Haus der Frau. Die alte Frau war skeptisch gegenüber Hexen, denn sie hatte von all den Äpfeln und Bohnen gehört, die sie zu verkaufen versuchten; doch diese Hexe schien netter zu sein, als die alte Frau es sich vorgestellt hatte. Sie unterhielten sich lange, und jeder mochte den anderen. Schließlich erzählte die Frau der Hexe, dass sie auf ihre alten Tage einsam geworden war. Die Hexe hatte Mitleid mit der alten Frau und schenkte ihr einen besonderen Samen. Die Hexe sagte ihr, sie solle den Samen in ihren besten Boden pflanzen, ihn mit ihrem klarsten Wasser gießen und ihrem Samen etwas zusätzliche Liebe geben.
Die alte Frau tat, was die Hexe verlangte: Sie pflanzte den Samen in einen kleinen Topf mit der besten Erde; sie goss den Samen mit frischem Regenwasser; und eines Tages, als die schöne rosa Blume aus der Erde gesprossen war, küsste die alte Frau ihre geschlossenen Blütenblätter.
Plötzlich öffneten sich die Blütenblätter, und in ihrem Inneren saß ein kleines Mädchen mit langen goldenen Haaren. Sie war nicht größer als der Daumen der alten Frau. Die alte Frau nannte sie Däumelinchen.
Sie kümmerte sich um Däumelinchen wie um ihre eigene Tochter. Sie machte ihr ein Bett aus einer polierten Walnussschale, und jede Nacht sammelte sie Blumenblätter aus ihrem Garten, damit Däumelinchen sich daran wärmen konnte. Däumelinchen sang die alte Frau mit ihrer schönen Stimme in den Schlaf.
Als sie in einer warmen Sommernacht Däumelinchens liebliche Stimme hörte, hüpfte eine große Kröte zum Fenster hinauf. Hopp! Hopp! Hop!
Als Däumelinchen eingeschlafen war, kroch die Kröte durch das Fenster herein.
„Oh je! Die wird die perfekte Frau für meinen Sohn sein!“, rief sie aus. Die Kröte packte Däumelinchen in der Walnussschale und trug sie zum nahen Fluss. In der Nähe des Flusses angekommen, sagte die Kröte zu ihrem Sohn: „Sieh dir die schöne Braut an, die ich für dich gefunden habe!“
Krächzen! Krächz! Krächzen! war alles, was ihr Sohn erwidern konnte.
Stolz brachte die Krötenmutter den noch schlafenden Däumling zu einem Fleckchen Seerosenblätter und setzte ihn auf das kleinste. Dann ging sie zurück zu ihrem Sohn, der nun in einer großen Schlammpfütze lag, und die beiden begannen, ein Haus aus Schlamm und Schilf zu bauen, das für die neue Braut geeignet war.
Däumelinchen erwachte durch das Geräusch von Hüpfen und Quaken und begann sofort zu schluchzen bei dem Gedanken, dass ihre Mutter ganz allein war, ohne die Gesellschaft, die sie in den Schlaf sang.
Zwei orangefarbene Fische hörten Däumelinchens Weinen und sahen das Seerosenblatt, auf dem sie saß.
„Wir sollten ihr helfen“, sagten beide gleichzeitig. Sofort schwammen sie zu Däumelinchens Seerosenblatt und knabberten an ihrem Seerosenstängel, bis sie sich losriss.
„Oh! Danke! Vielen Dank!“, rief Däumelinchen und winkte den Fischen zum Abschied zu, als sie stromabwärts zu schwimmen begann.
Als Däumelinchen den Fluss hinunterfuhr, war ihr Herz erfüllt von all den Wundern der Welt da draußen. Sie sah die schönen Sterne am Himmel, hörte das Zirpen der Grillen und roch den lieblichen Duft der Blumen, die den Fluss säumten.
Plötzlich flog ein wunderschöner violetter Schmetterling neben ihr her und folgte ihrem Weg den Fluss hinunter. Däumelinchen betrachtete erstaunt die prächtigen Flügel des Schmetterlings, die neben ihr schlugen.
Sie schrie vor Freude auf und klatschte in die Hände, als der Schmetterling in die aufgehende Sonne flog. Däumelinchen gähnte und schlief noch einmal ein, bis die Sonne hoch über ihr aufgegangen war.
Als sie aufwachte, fand sie sich am Ufer des Flusses wieder, in einem Land, das noch weiter von ihrer lieben alten Mutter entfernt war. Däumelinchen versuchte, ihre Traurigkeit während der Sommermonate zu ignorieren, indem sie sich mit allen Blumen und der Sonne umgab, die sie finden konnte. Sie schloss Freundschaft mit Schmetterlingen, Libellen und Hummeln. Sie konnte das Zwitschern der Vögel über sich hören. Sie war wieder glücklich.
Aber als der Herbst kam, flogen alle geflügelten Wesen weg und ließen Däumelinchen allein zurück. Und als der Winter kam, wurde Däumelinchen sehr kalt und noch einsamer. Sie konnte sich nur an den getrockneten Blättern wärmen, die im Herbst von den Bäumen gefallen waren.
An einem sehr verschneiten Tag war Däumelinchen so kalt und hungrig geworden, dass sie beschloss, eine Unterkunft und etwas zu essen zu suchen. Sie wanderte so weit wie nie zuvor auf die Wiese neben einem Kornfeld. Dort fand sie ein kleines Loch neben einem Baum. Sie kletterte hinein und war überrascht, eine Feldmaus zu finden, die in einem großen Raum stand, der mit Maiskörnern gefüllt war.
„Komm herein, Liebes. Du zitterst ja. Ich werde dich wärmen. Du wirst bei mir bleiben“, sagte die Feldmaus. Die Feldmaus war lieb zu Däumelinchen. Sie fütterte sie mit all dem Mais, den Däumelinchen sich wünschte, und gab ihr einen warmen Platz zum Wohnen und Schlafen. Als Gegenleistung verlangte die Maus, dass Däumelinchen sich um die Hausarbeit kümmerte und ihr Geschichten erzählte. Däumelinchen erzählte der Maus alle Geschichten von ihren Reisen, und schließlich liebte es die Maus, auch in den Schlaf gesungen zu werden.
Eines Morgens erwachte Däumelinchen durch die Geräusche der Feldmaus, die panisch herumwuselte, um das Loch, in dem sie wohnten, blitzblank zu putzen.
Als Däumelinchen dies hinterfragte, antwortete die Maus: „Unser Nachbar kommt zu Besuch. Er ist ein sehr wichtiger Besucher. Er ist reich, er trägt einen glänzenden schwarzen Mantel aus feinstem Samt, und er wird der perfekte Ehemann für dich sein. Leider ist er blind, denn er ist ein Maulwurf.“
Später an diesem Tag kam der Maulwurf zu Besuch und die Maus bat Däumelinchen, ihm eine Geschichte zu erzählen. Däumelinchen tat es. Der Maulwurf gewann Däumelinchen lieb. Dann forderte die Maus Däumelinchen auf, für den blinden Maulwurf zu singen. Däumelinchen tat es. Der Maulwurf verliebte sich sofort in Däumelinchen.
Er begann, das Mauseloch täglich zu besuchen und lud Däumelinchen oft ein, durch die Tunnel zu gehen, die er gebaut hatte. Däumelinchen tat das nur widerwillig, aber nur, um die Feldmaus, die so freundlich zu ihr gewesen war, glücklich zu machen.
„Kümmere dich nicht um den Vogel. Er liegt einfach mitten in meinem Tunnel. Das dumme Ding ist weg und tot!“, rief der Maulwurf. Däumelinchen war traurig beim Anblick des schönen Vogels, der in der Mitte des schmutzigen Tunnels lag. Der Maulwurf trat mürrisch gegen den Vogel, als er an ihm vorbeiging.
„Komm! Komm!“, rief er Däumelinchen zu.
„Ich komme dich wieder holen“, flüsterte Däumelinchen dem Vogel zu. Sie verbrachte den Rest des Tages unglücklich mit dem Maulwurf.
In der Nacht versuchte Däumelinchen zu schlafen, aber sie konnte nur an den armen Vogel denken, der allein im Tunnel des Maulwurfs lag. Sie schlich sich leise an, um die Feldmaus nicht zu wecken. Sie schnappte sich ihr Bettlaken, das die Maus für sie aus Maisblättern und weichen Daunen gestrickt hatte, und lief durch den Tunnel zu dem Vogel. Sie deckte das sanftmütige Tier zu, so gut sie konnte. Sie weinte leise und umarmte den Vogel. Plötzlich konnte sie den Herzschlag des Vogels hören. Ba bump! Ba buMP! BA BUMP!
Däumelinchen keuchte auf, als sie sah, dass der Vogel seine Augen öffnete. Der Vogel war nicht tot! Die Winterluft hatte nur den Herzschlag des Vogels eingefroren. Ihre Decke hatte den Vogel wieder zum Leben erweckt.
Den Rest des Winters pflegte Däumelinchen den Vogel wieder zu voller Gesundheit. Sie hielt dies vor der Feldmaus und dem Maulwurf verborgen, während diese heimlich planten, sie mit dem Maulwurf zu verheiraten.
Als es wieder Frühling wurde, begann sich der Boden zu erwärmen, und der Vogel war wieder gesund, gerade rechtzeitig, um das Loch für den Sommer zu verlassen. Er bat Däumelinchen, ihn in die warme Sonne zu begleiten, und flog den ganzen Tag inmitten von Blumen und anderen Vögeln herum.
Däumelinchen wünschte sich das sehr, aber sie erinnerte sich daran, wie freundlich die Feldmaus zu ihr gewesen war, als sie in Not gewesen war. Deshalb lehnte Däumelinchen das Angebot des Vogels traurig ab. Sie weinte, als sich beide voneinander verabschiedeten. Der Vogel wünschte ihr viel Glück, und Däumelinchen stand am Eingang des Lochs und sah zu, wie er davonflog, während die Sonne herrlich auf ihr Gesicht schien.
Eines Tages, als Däumelinchen sich um die Arbeit im Mäuseloch kümmerte, sagte die Feldmaus: „Der Maulwurf hat angekündigt, dass er dich heiraten möchte. Mit meiner Hilfe werde ich dir das schönste Hochzeitskleid machen. Mit ihm als Ehemann wirst du ein prächtiges Leben führen.“
Die Feldmaus trommelte eine Gruppe von Spinnen zusammen, um das Leinen für Däumelinchens Hochzeitskleid und andere Wäsche für ihr künftiges Leben mit dem Maulwurf zu weben – und ignorierte dabei Däumelinchens Proteste.
Däumelinchen war nicht glücklich und wollte viel lieber draußen in der Sonne leben als drinnen in einem dunklen und kalten Loch mit dem blinden, langweiligen Maulwurf.
Als der Herbst kam, saß Däumelinchen am Rand des Lochs und schaute zu ihrer geliebten Sonne, die hinter dem Kornfeld unterging. Sie sah die Blätter auf dem Boden und ihr Herz füllte sich mit plötzlicher Traurigkeit. Däumelinchen begann zu schluchzen. Sie sagte der Feldmaus, dass sie den Maulwurf nicht heiraten wolle. Die Maus huschte herum und ignorierte Däumelinchens Traurigkeit.
„Du wirst ein gutes Leben mit dem Maulwurf führen. Sei nicht undankbar. Du hast Glück, dass du einen so netten Maulwurf mit einer so schönen Samtjacke hast, der dich heiraten will“, sagte sie. Däumelinchen wurde noch trauriger als sonst und wartete und fürchtete sich vor dem Tag ihrer Hochzeit.
Eines Morgens blickte sie mit Tränen in den Augen in die Spätherbstsonne, weil sie dachte, sie nie wieder zu sehen. Plötzlich sah sie den Vogel, den sie gerettet hatte. Er flog herab und landete neben ihr. Der Vogel teilte Däumelinchen mit, dass er für den Winter in das Land des Sommers fliegen würde, wo die Sonne immer schien und die Vögel so schöne Lieder sangen wie Däumelinchen. Er bat Däumelinchen noch einmal, mit ihm wegzufliegen.
Ohne lange zu überlegen, hüpfte Däumelinchen auf den Rücken des Vogels und die beiden flogen der Sonne entgegen. Sie reisten tagelang über große, schneebedeckte Berge, schöne grüne Felder und viele leuchtende Blumenfelder. Schließlich erreichten sie eine große Blumenwiese. Die Luft war warm und die Sonne schien heller, als Däumelinchen sie je gesehen hatte. Der Vogel landete auf einem hohen Baum in einem Nest.
„Du bist herzlich eingeladen, bei mir zu bleiben, Däumelinchen, aber ich vermute, dass es dir hier unten inmitten der Blumen gefallen würde“, sagte er. Däumelinchen nickte und küsste die Federn des freundlichen Vogels.
Der Vogel flog auf die Blumenwiese und setzte Däumelinchen auf eine große rosafarbene Blume, ähnlich wie die, aus der sie kam. Plötzlich tauchte hinter einem großen rosafarbenen Blütenblatt ein gekrönter Mann auf, der nur ein wenig größer war als Däumelinchen selbst. Er erschrak über die Größe des Vogels, aber als er Däumelinchen daneben stehen sah, näherte er sich ihr und verliebte sich sofort in ihr strahlendes Glück und in die Art, wie ihr goldenes Haar im Sonnenlicht glänzte.
Nachdem er viele glückliche Wochen zusammen im Sonnenschein verbracht hatte, setzte er Däumelinchen seine strahlende Krone auf den Kopf und lächelte sie herzlich an. Er bat sie, seine Königin des Feenreichs zu werden.
Däumelinchen dachte einen Moment lang darüber nach. Der Elfenkönig war der erste Mann, der sie gefragt hatte. Er war gütiger zu ihr als die Kröte und der Maulwurf zusammengenommen. Sie willigte ein, seine Königin zu werden.
Als der Vogel sah, wie glücklich Däumelinchen in der Gegenwart des Elfenkönigs war, flog er davon und versprach, oft wiederzukommen, um Däumelinchen zu besuchen.
Als Däumelinchen und der Feenkönig als König und Königin vereint waren, öffneten sich alle Blumen auf der Wiese und enthüllten eine oder zwei Feen, die darin saßen.
Bei der Hochzeit freute sich das Feenreich über das neu gefundene Glück von König und Königin. Däumelinchen sang wunderschöne Lieder, die alle hören konnten. Sie bekam viele Geschenke, aber am liebsten mochte sie ein Paar wunderschöne Flügel, die sie an die Schmetterlinge erinnerten, die sie zu Beginn ihrer Reise zum ersten Mal gesehen hatte.
Das Königreich tanzte im Sonnenlicht, trank süßen Nektar und freundete sich dank Däumelinchen mit vielen Vögeln an, die oben in den Bäumen nisteten. Während der heißen Tage hielten die Schmetterlinge und Libellen Däumelinchen mit ihren Flügeln kühl, und abends sang Däumelinchen ihren Feenkönig und den Rest des Königreichs in den Schlaf. Schließlich griffen alle Vögel ihr Lied auf und sangen mit ihr zusammen.
Der Vogel, den Däumelinchen gerettet hatte, war immer traurig, Däumelinchen zu verlassen, aber er liebte es zu reisen und versprach ihr, ihre Geschichte in der Welt zu verbreiten.
Eines Tages flog er zu dem Häuschen einer alten Frau auf einem kleinen Hügel und sang Däumelinchens Lied. Die alte Frau erkannte das Lied sofort als das von Däumelinchen, denn sie war Däumelinchens lange verschollene Mutter. Ihre Einsamkeit war für immer verschwunden, denn sie wusste, dass Däumelinchen in Sicherheit war und glücklich in der fernen Sonne lebte. Und wenn die alte Frau ihren lieben Däumling vermisste, ging sie an ihr Fenster und sah einen Vogel auf einem Baum sitzen, der Däumling zwitscherte.
Das Ende.
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Mein Name ist Tasha Guenther. Ich lebe zurzeit in Hamilton, Ontario, Kanada, wo ich meinen Doktor in Kulturwissenschaften mit Schwerpunkt digitale Kulturen an der McMaster University mache. Ich schreibe gerne akademische Essays und Buchkapitel, aber auch Kurzgeschichten und Sachbücher. Mehr von meinen DLTKsCrafts-Arbeiten können Sie hier lesen!
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