Ein beeindruckender Fall von Procidentia mit gleichzeitiger Zystozele und Hydronephrose

Klinische Anamnese: Eine 45-jährige afroamerikanische Nulligravida stellte sich in der Notaufnahme vor und klagte über 8/10 nicht ausstrahlende Schmerzen tief in ihrer Vagina. Die Patientin gab an, seit 5 Jahren unter Vaginalschmerzen zu leiden, doch am Tag der Aufnahme hatten sich die Schmerzen gegenüber dem Ausgangswert deutlich verstärkt. Außerdem besteht eine Harninkontinenz, die mit Husten und Lachen einhergeht. Nach einem Autounfall vor 25 Jahren hatte sie eine Hüfttotalendoprothese auf der rechten Seite. Bei der Untersuchung des Beckens fielen postoperative Veränderungen auf der rechten Seite, eine Asymmetrie der Vulva und eine Vorwölbung des gesamten Uterus über den Introitus hinaus auf.

Erörterung: Der Beckenorganprolaps (POP) ist eine häufige Erkrankung bei Frauen, insbesondere bei älteren Menschen. Bis zum Jahr 2030 wird schätzungsweise mehr als ein Fünftel der Frauen mindestens 65 Jahre alt sein und ein erhöhtes Risiko haben, eine POP zu entwickeln.(20,18) Die POP ist zwar nicht mit einer signifikanten Morbidität, aber im Wesentlichen mit keiner Mortalität verbunden (17) und verursachte zwischen 2005 und 2006 geschätzte Kosten in Höhe von 300 Millionen US-Dollar für die Behandlung in der ambulanten Versorgung.(16) In verschiedenen Studien wurde berichtet, dass zwischen 2,9 und 8 Prozent der Frauen unter Symptomen infolge der POP leiden. Die tatsächliche Prävalenz von Frauen, die an einer POP leiden, ist schwer zu berechnen, da 1) die Studien unterschiedliche Schwellenwerte für die Bestimmung einer symptomatischen POP verwenden und 2) die Zahl der Frauen, die mit POP-Symptomen leben, aber keine medizinische Behandlung in Anspruch nehmen, wahrscheinlich erheblich ist, aber unbekannt bleibt.(12, 14, 18)

Risikofaktoren für die Entwicklung eines Beckenorganprolaps stehen in Zusammenhang mit Trauma, Stress und Schwäche des Beckenbodens. Mehrere Studien haben Parität, fortgeschrittenes Alter, einen hohen Body-Mass-Index (BMI) und eine bestimmte ethnische Zugehörigkeit mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung dieses Defekts in Verbindung gebracht.(9, 14, 17, 18, 19) Bei dem hier vorgestellten Fall handelt es sich um eine junge Afroamerikanerin mit Nulliparie – deren Rasse mit einem geringeren Risiko für die Entwicklung einer POP korreliert(7) – ohne bekannte Risiken für eine POP, die aufgrund einer ungewöhnlichen Ätiologie eine Procidentia oder einen vollständigen Vorfall ihres Uterus durch den Introitus vaginalis entwickelte. Ultraschall wird von Klinikern seit über 20 Jahren zur Beurteilung von Patientinnen mit Beckenorganprolaps eingesetzt.(5) Zusätzlich zur routinemäßigen Beckenuntersuchung bietet die Bildgebung eine objektive und reproduzierbare Bestätigung der Befunde aus der routinemäßigen Beckenuntersuchung und deckt zufällige pathologische Befunde in der Region auf.(10) Der translabiale/transperineale Ultraschall liefert eine sagittale Ansicht aller drei Kompartimente des Beckens und identifiziert das/die abgesunkene(n) Organ(e) und das Ausmaß des Defekts in einer Weise, die in hohem Maße mit der POP-Q-Klassifikation (Pelvic Organ Prolapse Quantification) korreliert.(4) Die Standard-2D-Ansicht zeigt die Schambeinfuge anterior, die Harnröhre und den Blasenhals, die Vagina, die Zervix, das Rektum und den Analkanal. Eine horizontale Linie, die von der unteren Kante der Schambeinfuge ausgeht, dient als Referenz für die Messungen in Ruhe und bei maximalem Valsalva.(5)

Auch die Magnetresonanztomographie (MRT) liefert eine mittig-agitale Ansicht des Beckens in Ruhe und bei Valsalva des Patienten. Die Referenz auf das H-Linie-M-Linie-Organ-Prolase-System (HMO) basiert auf drei anatomischen Linien in Bezug auf die Schambeinfuge, das Steißbein und das Rektum. Eine Linie, die von der Schambeinfuge zum Steißbein gezogen wird, die pubococcygeale Linie (PCL), verbindet sich mit der puborektalen Linie (H-Linie) an der Schambeinfuge. Die dritte Linie – die M-Linie – verbindet das rektale Ende der H-Linie mit der PCL und bildet ein Dreieck von neunzig Grad.(2) Aufgrund ihrer höheren Auflösung hat die MRT den zusätzlichen Vorteil, dass sie die Entspannung des Beckenbodens mit Messungen des Beckenabstiegs (M-Linie ≥2cm) und des Levatorhiatus (H-Linie ≥6cm) bewerten kann.(1)

Defekte der Fascia pubocervicalis und der Fascia arcus tendineus gelten als Ursache für zentrale bzw. laterale Defekte im vorderen Kompartiment.(13) Bildgebende Verfahren können für den Chirurgen präoperativ von unschätzbarem Wert sein, da sie in der Lage sind, einen echten Blasenvorfall und die Lage der Harnröhre sichtbar zu machen, wodurch das Potenzial für eine Fehldiagnose minimiert wird, da Stressinkontinenz oft sekundär zu anderen Pathologien wie einer Hypermotilität der Harnröhre sein kann: ein Harnröhrenabstieg von 20-30 mm bei Valsalva mit Ultraschall.(5)

Ein Gebärmuttervorfall lässt sich in der Regel bei der Beckenuntersuchung leicht nachweisen, doch in Fällen von Procidentia wie in diesem Fall ist die Diagnose gleichzeitiger Vorfälle ohne die Hilfe von Röntgenaufnahmen schwierig.(3,5)

Ein Rektumvorfall ist bei der körperlichen Untersuchung am schwierigsten zu erkennen, vor allem bei Frauen mit mehreren Organvorfällen, die ungewollt um den tastbaren Raum in der Vagina konkurrieren.(3) Mit Hilfe der Bildgebung können Kliniker das hintere Kompartiment über die Grenzen einer einfachen Beckenuntersuchung hinaus beurteilen und zwischen echten Rektozelen, perinealer Hypermotilität und rektaler Intussuszeption unterscheiden.(5)

Vor dem Aufkommen des 3D-Ultraschalls war die MRT bei der Darstellung anatomischer Veränderungen des Beckenbodens unbestreitbar überlegen. Neuere Ultraschallsysteme geben nun eine ähnliche Ansicht des Beckenbodens wieder, die in der Lage ist, Verletzungen des Levators und der ihn umgebenden Faszien zu erkennen.(5) Ultraschall bietet den Vorteil, dass die axiale Ebene gekippt und die Auflösung im interessierenden Bereich optimiert werden kann.(5) In Studien über den Hiatus letvator wurden erste Parameter zur Definition von Anomalien in dieser Ansicht festgelegt. So wird beispielsweise eine Dehnung von mehr als 25 cm2 beim Valsalva-Test als „Ballonierung“ definiert.(6) Der Nutzen dieser Technik ist jedoch begrenzt. Bewertungen, die auf der Fläche der Levator-Hiatus-Distention basieren, stehen nur in Zusammenhang mit einem Prolaps des vorderen Kompartiments, nicht aber des hinteren Kompartiments.(11)

Bei der körperlichen Untersuchung dieser Patientin wurde ein intraabdominaler Ultraschall durchgeführt, und vielleicht wäre ein translabialer Ultraschall angebracht gewesen, um einen Prolaps des hinteren Kompartiments auszuschließen. Die MRT-Untersuchung des Beckens wurde jedoch aus folgenden Gründen verschoben: Interferenzen durch ihr metallisches Femurimplantat, die Studie ist der klinischen Untersuchung bei der Erkennung eines Prolapses des vorderen und zentralen Kompartiments nicht überlegen (8), und begrenzte Mittel für bedürftige Patienten. Stattdessen wurde eine IVP angeordnet, da der Verdacht auf eine Pathologie der Harnwege bestand, die auf ihre Stressinkontinenz zurückzuführen war. Etwa 20,6 % der Patienten mit schwerer POP entwickeln unbehandelt eine Hydronephrose.(21) Der IVP-Befund wies auf eine leichte Hydronephrose der linken Niere hin, die auf einen Blasenvorfall und postoperative Reparaturen zurückzuführen war, die mit dem Autounfall der Patientin übereinstimmten (Abb. 1). Zur weiteren Abklärung der Harnwegs- und Beckenbefunde wurde ein Nieren- und Becken-CT angeordnet.

Im CT wurden Hydronephrose, Blasenvorfall, Uterusprocidentia und posttraumatische anatomische Veränderungen des Beckens bestätigt (Abb. 2-4). Die Harnwege waren durchgängig, was auf eine leichte Obstruktion des linken Harnleiters und ein langsames Fortschreiten der Hydronephrose hindeutet, so dass diese Patientin die Behandlung um mehrere Jahre hinauszögern konnte, ohne bleibende Nierenschäden zu erleiden.

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Abbildung 1: IVP

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Abbildung 2: CT-Topogramm

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Abbildung 3: Axiales CT mit Nachweis einer linken Hydronephrose

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Abbildung 4: Axiales CT mit tiefliegender Harnblase

Diese Patientin hat bereits mehrere Pessarversuche hinter sich und ist daher ein ausgezeichneter Kandidat für eine chirurgische Behandlung. Die Behandlung der Belastungsharninkontinenz sowohl mit einem Pessar als auch mit einem Schlingenverfahren hat sich als wirksames Mittel zur Verringerung des Schweregrads der Hydronephrose bei Patienten mit POP im Stadium 4 erwiesen, mit der Möglichkeit einer vollständigen Auflösung.(15, 21) Diese Patientin wird sich wahrscheinlich einem Schlingenverfahren und einer gleichzeitigen Hysterektomie unterziehen, um ihren Blasenvorfall bzw. ihre Uterusprocidentia zu korrigieren.

Vor der Entlassung bekundete die Patientin ihr Interesse an einer definitiven Behandlung und wurde am folgenden Tag für eine urogynäkologische Untersuchung angemeldet. Aufgrund ihrer einzigartigen chirurgischen Vorgeschichte und ihrer Bedürftigkeit wäre es ratsam, die Urogynäkologie über die Angemessenheit einer MRT in diesem speziellen Fall entscheiden zu lassen.

1. Barbaric ZL, Marumoto AK, Raz S. Magnetresonanztomographie des Dammes und des Beckenbodens. Top Magn Reson Imaging 2001;12:83-92.
2. Boyadzhyan L, Raman SS, Raz S. Rolle der statischen und dynamischen MR-Bildgebung bei chirurgischen Beckenbodendysfunktionen Radiographics. 2008 Jul-Aug;28(4):949-67. doi: 10.1148/rg.284075139.
3. Comiter CV, Vasavada SP, Barbaric ZL, Gousse AE, Raz S. Grading pelvic floor prolapse and pelvic floor relaxation using dynamic magnetic resonance imaging. Urology 1999;54:454-457
4. Dietz HP, Haylen BT, Broome J. Ultrasound in the quantification of female pelvic organ prolapse. Ultrasound Obstet Gynecol 2001; 18(5):511-4
5. Dietz HP, Pelvic floor ultrasound: a review, American Journal of Obstetrics and Gynecology, Volume 202, Issue 4, April 2010, Pages 321-334, ISSN 0002-9378, 10.1016/j.ajog.2009.08.018.
6. Dietz HP, Shek K, B. Clarke Biometry of the pubovisceral muscle and levator hiatus by three-dimensional pelvic floor ultrasound Ultrasound Obstet Gynecol, 25 (2005), pp. 580-585
7. Graham CA, Mallett VA. Die Rasse als Prädiktor für Harninkontinenz und Beckenorganprolaps. Am J Obstet Gynecol 2001;185:116-20
8. Gupta S, Sharma JB, Hari S, Kumar S, Roy KK, Singh N. Study of dynamic magnetic resonance imaging in diagnosis of pelvic organ prolapse Arch Gynecol Obstet. 2012 Oct;286(4):953-8. doi: 10.1007/s00404-012-2381-8. Epub 2012 Jun 8.
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11. Majida M, Braekken I, Bø K, Benth J, Engh M. Anterior but not posterior compartment prolapse is associated with levator hiatus area: a three- and four-dimensional transperineal ultrasound study BJOG. 2011 Feb;118(3):329-37. doi: 10.1111/j.1471-0528.2010.02784.x. Epub 2010 Dec 7
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20. US Census Bureau. US-Zwischenprognosen nach Alter, Geschlecht, Rasse und hispanischer Herkunft, 2000-2050. .http://www.census.gov/ipc/www/usinterimproj/ 21. Wee WW, Wong HF, Lee LC, Han HC Inzidenz der Hydronephrose bei schwerem uterovaginalem oder Gewölbeprolaps Singapore Med J. 2013 Mar;54(3):160-2.

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