Seit Jahrzehnten wird die mögliche zoonotische Übertragung des Borna Disease Virus 1 (BoDV-1), eines infektiösen neurologischen Syndroms, das hauptsächlich bei Pferden und anderen Tieren auftritt, diskutiert. Frühere Forschungen haben versucht, die Infektion des Menschen mit verschiedenen psychiatrischen Störungen wie bipolaren Störungen oder Schizophrenie in Verbindung zu bringen, doch die Ergebnisse sind umstritten.
Auf einer stabileren Grundlage stehen neuere Berichte über eine menschliche BoDV-1-Infektion, die in Deutschland zu einer schweren und tödlichen Enzephalitis führte. Eine neue Studie, die in The Lancet Infectious Diseases veröffentlicht wurde, beschreibt detailliert die neuen Fälle und etabliert die BoDV-1-Infektion als potenziell tödliche Zoonose, die sowohl immungeschwächte als auch gesunde Menschen betreffen kann.
Die Forscher untersuchten Hirngewebe von Enzephalitis- und Enzephalopathiefällen mit möglicher viraler Ursache, die zwischen Januar 1995 und August 2018 an die diagnostische Abteilung des Instituts für Klinische Mikrobiologie und Hygiene des Universitätsklinikums Regensburg geschickt wurden.
Insgesamt 56 Patientenproben wurden retrospektiv mittels RNA-Test auf Bornavirus-Infektionen untersucht. Von diesen Patienten hatten 28 (50 %) eine diagnostizierte Ursache für eine neurologische Erkrankung. Bei 15 dieser 28 Patienten wurde eine bösartige Neoplasie, bei 10 eine Infektionskrankheit, bei 1 eine Autoimmunerkrankung, bei 1 eine intrakranielle Blutung und bei 1 ein Hirninfarkt diagnostiziert.
Bei den übrigen 28 Patienten wurde keine Ursache für eine neurologische Erkrankung diagnostiziert. Von diesen Patienten waren 9 an der Enzephalitis gestorben und 15 hatten die Krankheit überlebt.
Hirngewebe wurde bei allen 56 Patienten mittels zweier unabhängiger quantitativer Reverse-Transkriptions-Polymerase-Kettenreaktionstests auf BoDV-1 untersucht.
Von den 9 tödlichen Fällen von Enzephalitis wurden 7 positiv auf BoDV-1-RNA getestet. Keine der Proben der 28 Patienten mit identifizierbarer Diagnose und keine der Proben der 19 verbleibenden nicht diagnostizierten Fälle wurden positiv auf BoDV-1-RNA getestet.
Die Studienautoren analysierten die 7 BoDV-1-positiven Fälle, zu denen auch ein zuvor veröffentlichter Nierentransplantationsempfänger gehörte, zusammen mit 2 weiteren tödlichen Infektionen, die von anderen Zentren in Bayern diagnostiziert worden waren.
Die 8 neu identifizierten BoDV-1-infizierten Patienten starben zwischen 1999 und 2019. Alle waren weißer europäischer Ethnie und zwischen 17 und 65 Jahre alt. Das Durchschnittsalter der Patienten betrug 38,6 Jahre (Standardabweichung (SD) 15). Zu den Patienten gehörten 2 Männer und 6 Frauen.
Bei den meisten Patienten (6) war vor dem Auftreten der Symptome keine Immunsuppression bekannt, aber 2 hatten 3 bzw. 16 Monate vor dem Krankenhausaufenthalt eine immunsuppressive Therapie nach einer Organtransplantation erhalten.
In 7 von 8 Fällen wurde der Krankheitsbeginn von Kopfschmerzen und Fieber begleitet. In allen Fällen traten neurologische Symptome auf, darunter unsicherer Gang, Gedächtnisstörungen, Krampfanfälle, Verwirrtheit und allmählicher Bewusstseinsverlust. Die Patienten fielen nach dem Krankenhausaufenthalt ins Koma und starben innerhalb von 16 bis 57 Tagen (Mittelwert 39,5 Tage).
Alle Patienten erhielten Antibiotika, Acyclovir oder Ganciclovir. Steroide wurden 4 Patienten verabreicht.
Alle menschlichen BoDV-1-Sequenzen unterschieden sich voneinander und von weit verbreiteten Laborstämmen, was die Möglichkeit einer Kreuzkontamination unwahrscheinlicher macht als in einigen früheren Studien über den möglichen Zusammenhang von BoDV-1 mit psychiatrischen Störungen. Es wurden mehrere Sequenzen gefunden, die eng mit Pferde- und Schafstämmen in Bayern verwandt sind, was für eine unabhängige zoonotische Übertragung aus lokalen Quellen als Infektionsweg spricht.
Von 8 Patienten lebten 7 in ländlichen oder vorstädtischen Gebieten, in denen ein Kontakt mit zweifarbigen Weißzahnspitzmäusen (einem mutmaßlichen Trägertier) möglich war.
Die beschriebenen Fälle erhöhen die Zahl der bestätigten und veröffentlichten menschlichen BoDV-1-Infektionen im Endemiegebiet Deutschlands auf 14.
„Unsere Daten deuten darauf hin, dass, obwohl BoDV-1-assoziierte Enzephalitis in absoluten Zahlen ein relativ seltenes Ereignis zu sein scheint, sie einen hohen Anteil an schweren bis tödlichen Enzephalitisfällen unbekannter Ursache in BoDV-1-Endemiegebieten ausmachen könnte, insbesondere bei immunsupprimierten Patienten. Daher muss BoDV-1 in künftige Strategien zur Differentialdiagnose von Fällen einbezogen werden“, so die Studienautoren.
Abschließend beschrieben die Forscher Fälle, in denen es besonders wichtig wäre, auf BoDV-1 zu untersuchen.
Kliniker sollten eine Bornavirus-Infektion bei Patienten mit fiebrigen Episoden in Betracht ziehen, die sich durch schnell fortschreitende Affektionen des Nervensystems unbekannter Herkunft auszeichnen, mit erhöhten Leukozyten-, Protein- und Laktatkonzentrationen im Liquor, diffuser Verlangsamung in der Elektroenzephalographie während des frühen Krankheitsverlaufs, bilaterale Beteiligung des Frontal- und Temporallappens, der Basalganglien, des Hirnstamms und des insularen Kortex im MRT, Leben in ländlichen oder vorstädtischen Gebieten mit endemischem BoDV-1 und möglicher Kontakt mit Wildtieren (einschließlich indirektem Kontakt, z. B. durch eine Hauskatze, die kleine Tiere ins Haus bringt).