Vor 120 Jahren geboren: Kurt Weill

02.03.2020

Der Komponist von „Mack the Knife“ schrieb eine erstaunliche Bandbreite an Musik. Ein Schwerpunkt der aktuellen Weill-Renaissance ist das Dessauer Festival, das in diesem Jahr die kategoriensprengende Vielseitigkeit des Komponisten in den Mittelpunkt stellt.

„Jedes Werk war ein neues Modell, eine neue Form, eine neue Lösung für dramatische Probleme“, schrieb der Komponist Virgil Thomson in seinem Nachruf auf Kurt Weill, der 1950 kurz nach seinem 50. Geburtstag an einem Herzinfarkt starb.

Thompsons Worte sprechen zwei Charakteristika Kurt Weills an: seine vielen Stile und seine Lust an der Innovation. Der Komponist der Dreigroschenoper schrieb auch eine Radiokantate, eine Volksmusikoper und eine Schuloper sowie Werke in etablierten Gattungen: ein Violinkonzert, Kunstlieder, Kammermusik und vieles mehr.

Jedes Jahr ein Muss beim Kurt Weill Fest: „Die Dreigroschenoper“

In seinem 28. Jahr feiert das Kurt Weill Fest in seiner Geburtsstadt Dessau vom 28. Februar bis 15. März in 53 Veranstaltungen die Vielfalt seiner Musik. Das Motto „Was sind Grenzen?“ verweist auf Weills erzwungene Emigration aus Deutschland 1933, aber auch auf den grenzüberschreitenden Charakter seiner Werke.

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Kantorensohn und Musicalkomponist

Weill gehört zu den Künstlern, die weltweit einen höheren Stellenwert genießen als in ihrem Geburtsland.

Als Sohn eines Kantors an einer Dessauer Synagoge am 2. März 1900 geboren, erlernte Kurt Julian Weill das Komponistenhandwerk in Berlin bei dem musikalischen Renaissancemenschen Ferruccio Busoni.

In den Roaring Twenties schufen Kurt Weill und der Schriftsteller Bertolt Brecht Meisterwerke wie Die Dreigroschenoper und Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny.

Im Jahr 1933 ging der jüdische Komponist ins Exil, zunächst nach Paris und später mit seiner Frau, der Sängerin Lotte Lenya, nach New York, wo er sich einbürgern ließ.

Weills Wunsch, sich in die amerikanische Gesellschaft zu integrieren, war vollkommen; er weigerte sich sogar, mit seiner Frau Deutsch zu sprechen. Er etablierte sich bald als erfolgreicher Komponist am Broadway und ist die Quelle von Melodien wie „Mack the Knife“ und „September Song“, die selbst Leuten bekannt sind, die den Komponisten nicht nennen können.

Kurt Weill und seine Frau Lotte Lenya

Ausverkauf an den Broadway?

Während der Philosoph und Musikwissenschaftler Theodor W. Adorno Weills Leistungen während seiner zweiten Karriere als Komponist von Broadway-Musicals wie Street Scene, Lady in the Dark und One Touch of Venus anerkannte, beklagte er einen Mangel an Authentizität in Weills Spätwerk und behauptete, er habe sich von seinen Wurzeln gelöst, seine autonome Kreativität dem Publikumsgeschmack geopfert und sich im Wesentlichen an die amerikanische Theatermaschinerie verkauft. „Er wechselte öfter den Stil als das Land“, schrieb ein früher Biograph – und das war nicht als Kompliment gemeint.

Gerade der Erfolg in der neuen Heimat machte Kurt Weill in den Nachkriegsjahren zu einem Streitpunkt in der Alten Welt, wo die Avantgarde der ernsten Musik herrschte – der größte denkbare Gegensatz zum Musical. Das galt besonders in Deutschland, wo die Unterscheidung zwischen ernster und Unterhaltungsmusik dauerhaft und hierarchisch war.

Die Kurt Weill Renaissance

Heute, 120 Jahre nach seiner Geburt und 70 Jahre nach seinem Tod, hat sich die Situation geändert. „Ich glaube, es gibt einen Weill-Aufschwung“, sagte Jan Henric Bogen, Leiter des Kurt Weill Festes in Dessau, der DW. „Seine amerikanischen Werke werden auch in Deutschland häufiger inszeniert. Werke wie Street Scene und Der Silbersee sind wieder aktuell.“

Eine Erklärung für diese erneute Popularität ist besorgniserregend: „Die Werke sind unter Umständen entstanden, die sich heute wiederholen. Wir beobachten einen Aufschwung von Nationalismus und Populismus – und können uns aus diesen Gründen heute stärker mit den Werken Kurt Weills identifizieren“, erklärt Bogen.

Jan Henric Bogen ist der Leiter des Kurt Weill Festes in Dessau

Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich, heißt es. Weill, der den Swing und den Rhythmus der amerikanischen Tanzmusik der Roaring Twenties in seine früheren Werke in Deutschland einfließen ließ, nahm diese Erfahrung mit in die Emigration – und erfand nicht nur sich selbst neu, sondern hatte auch einen nachhaltigen Einfluss auf den Broadway. „Er passte sich den Umständen an, aber im positivsten Sinne“, sagt Jan Henric Bogen, „und fand in ihnen neue Quellen der Inspiration. Das macht ihn heute so interessant.“

Schreiben für die Gegenwart

„Was mich betrifft, so schreibe ich für heute. Ich schere mich nicht darum, für die Nachwelt zu schreiben“, schrieb der Komponist.

Eine neue Büste des Komponisten wurde kürzlich in Dessau enthüllt

Dennoch ist die Nachwelt von Kurt Weill fasziniert.

Der Auftakt zu dem nach ihm benannten Festival war eine Weill-Gala, bei der unter anderem der Startenor Rolando Villazon auftrat und Weills Werke aus seiner Zeit in Deutschland, Paris und New York zu hören waren.

Drei Wochenenden später endet es mit einem Auftritt des Moka Efti Orchesters, das im Stil der Roaring Twenties musiziert – auch für die erfolgreiche TV-Serie Babylon Berlin.

Mit so unterschiedlichen Veranstaltungen wie einer Lesung afghanischer Dichterinnen, einer jiddischen Operette und aufwändigen Inszenierungen der Weill-Brecht-Klassiker „Die Dreigroschenoper“ und „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ wird das Festival auch das Thema Grenzen und Grenzüberschreitung aufgreifen.

Eine Suche nach Wahrheit, Freiheit und Gerechtigkeit

Im Jahr 1936 schrieb der Komponist: „Die Bühne hat heute nur dann eine Daseinsberechtigung, wenn sie nach einer selteneren Wahrheit strebt.“ Das erklärt die anhaltende Popularität Kurt Weills, denn es verweist auf den „klassischen“ Charakter seiner Kunst im allgemeinen Sinne des Wortes. Das gilt auch für diese oft zitierte Aussage: „Ich habe nie den Unterschied zwischen ‚ernster‘ und ‚leichter‘ Musik anerkannt. Es gibt nur gute Musik und schlechte Musik.“

Ein weiteres Zitat des amerikanischen Patrioten, der den Zweiten Weltkrieg gegen Deutschland unterstützte, könnte nicht weiter von der Rhetorik der gegenwärtigen US-Regierung entfernt sein: „Diejenigen, die hierher kommen und die Freiheit, Gerechtigkeit, Chancen und Menschenwürde suchen, die sie in ihren eigenen Ländern vermissen, sind bereits Amerikaner, bevor sie kommen.“

Rick Fulker

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